Das Projekt „Stadtansichten“, das von Einzelpersonen der Kollektive Orangotango und Memfarado initiiert und umgesetzt wurde, vereinte die Gestaltung eines stadtpolitischen Wandbilds mit einer kollektiven kritischen Kartierung der Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse sowie des Widerstands dagegen in Berlin-Kreuzberg. Nach einer mehrmonatigen Planungs- undVorbereitungsphase bildeten drei Workshops mit Mitgliedern der Jugendgruppe von Kotti&Co und anderen stadtpolitisch Interessierten die Grundlage für dieses Vorhaben.

Bei den Workshops im Kottishop setzten wir uns zunächst kritisch mit herkömmlichen kartografischen Darstellungsweisen und den Potenzialen kritischer Karten für eine emanzipatorische Praxis auseinander. In einem Brainstorming zur Stadtentwicklung Kreuzbergs trugen wir anschließend unsere Erfahrungen und unser Alltagswissen über die Prozesse im Kiez zusammen und diskutierten diese. Dabei verständigten wir uns auch auf die Ziele und den Zweck der Karte:
- die Sichtbarmachung und Verortung von Stadtentwicklungsprozessen, die gegenwärtig zur Aufwertung und Verdrängung in Kreuzberg führen
- die Sichtbarmachung von Protest und Widerstand sowie gelebter stadtpolitischer Alternativen, die diesen Prozessen entgegenstehen
- die Bereitstellung von Informationen wie und wo Betroffene Unterstützung erhalten oder sich selber engagieren können

Außerdem beschäftigten wir uns mit den den Grenzen und Herausforderungen des Kartenmachens, wobei für unser konkretes Vorhaben u.a. folgende Fragen diskutiert wurden:
- Für wen erstellen wir die Karte?
- Welche Bild- und Textsprache ist dafür notwendig?
- Wie lässt sich Gentrifizierung überhaupt bildhaft darstellen ohne die Komplexität sozialräumlicher Prozesse zu sehr zu vereinfachen?
- Wie bekommen wir die vielfältigen Ursachen und Auswirkungen des Phänomens sowie die Reaktionen darauf und die gelebten Alternativen in verschiedenen Kategorien unter?
- Wie können wir diese symbolhaft und möglichst allgemeinverständlich darstellen?
- Woher erhalten wir die Informationen über Orte, Geschehnisse und Prozesse?
- Welche „sensiblen“ Infos sollten wir vielleicht lieber nicht darstellen?
- Und wie könnte die Karte und das darin enthaltene Wissen möglicherweise für andere Zwecke missbraucht werden?

In den darauf folgenden Monaten bastelten wir an der Karte weiter, ent- und verwarfen zahlreiche Icons (siehe Übersicht unten) und verfassten Erklärungstexte zu den dargestellten Prozessen. Zur Datenerhebung unternahmen wir zahlreiche Erkundungstouren im Stadtraum sowie Recherchen im Internet. Für das Layout und die grafische Gestaltung der Karte erhielten wir zusätzlich tatkräftige Unterstützung durch das Medien-Kollektiv Pappsatt. Eine OpenStreetMap-Kartengrundlage tauschten wir daraufhin durch die von Berlin besetzt aus und auch die erstellten Icons bekamen einen neuen Look. Nach über einem Jahr und unzähligen Arbeitstreffen konnten wir die Karte endlich in den Druck schicken. Seitdem wird sie fleißig verteilt und steht hier unter einer Creative Commons-Lizenz zum Download bereit.In
2017 wurde die Kreuzbergkarte aktualisiert und hat dabei neben einer Reihe von neuen visualisierten Prozessen auch gleich noch ein neues Format erhalten. Hierbei zeigt sich, dass die Verdrängungs- und Aufwertungsprozesse in Kreuzberg in den letzten Jahren weiter vorangetrieben wurden. Jeden Tag werden Menschen in Berlin zwangsgeräumt oder müssen ihre Wohnungen verlassen. Mit Kiezversammlungen und Protestaktionen organisiert und wehrt sich aber auch zunehmend eine solidarische Nachbarschaft gegen diese Prozesse. Und erfolgreicher Protest etwa gegen die Verdrängung von Kleingewerbe zeigt, dass sich Widerstand und Vernetzung lohnen. Die erneuerte Karte kann hier heruntergeladen werden.
Icons für stadtpolitische Kartierungen: