Wie überall wo gesellschaftliche Widersprüche offen zutage treten, entwickeln Menschen auch inm Stadtteil Scampia, in der nördlichen Peripherie Neapels, vielseitige Formen des Widerstands, der gemeinschaftlichen Organisation und Selbsthilfe. Seit 2009 arbeiten wir kontinuierlich mit unterschiedlichen in Scampia aktiven Gruppen und Initiativen zusammen, insbesondere mit chi rom e chi no, dem Centro Territoriale Mammut und dem GRIDAS. Dabei konnten wir Einblicke in verschiedenste gesellschaftliche Praxen und politische Kämpfe erlangen, die im Viertel ausgetragen werden: politische Jugend- und Bildungsarbeit, Stärkung von Rechten der am Rand Scampias ansässigen Roma-Gemeinschaften, Kampf für eine partizipativere Stadtpolitik, insbesondere was die Gestaltung des öffentlichen Raums betrifft, die Besetzung leerstehender Räume zur gemeinschaftlichen kulturellen Nutzung, die in Neapel seit Jahrzehnten aktive Arbeitslosenbewegung, die Bewegung der Barackenbewohner*innen, das regionales Netzwerk für solidarische Ökonomie und die Kämpfe um Wohnraum.
Im Frühjahr und Sommer 2009 arbeiteten wir intensiv mit dem Stadtteilzentrumzentrum Mammut zusammen. Gemeinsam mit meist jungen Anwohner*innen gestalteten wir verschiedene Wandbilder in Scampia und speziell im Gebäudekomplex der Vele. In Zusammenarbeit mit chi rom e chi no entstand in dieser Zeit auch der Kurzfilm Il Quarto Piano, aus einem Monate vorher gemeinsam durchgeführten Malprojekt. Einige Wochen lang malten wir fast täglich in den Vele, in Treppenhäusern, leerstehenden Wohnungen und auf Balkonen. Wenn wir mit unseren Farbeimern, Pinseln und Sprühdosen auftauchten, kamen junge Menschen angerannt und luden uns ein, auch auf ihrem Stockwerk, im Treppenhaus oder auf ihrem Balkon zu malen. So entstand die Idee, neben den vielen Kleinen Wandbildern auch eines zu malen, das nicht nur von innen, sondern auch von außen auf die Vele blickend zu sehen wäre. Während endloser Malaktionen, Fußballpartien, gemeinsamer Mittagessen und hunderten Cafès wurden erste Motivideen und Entwürfe gemeinsam mit Bewohner*innen und befreundeten Aktivist*innen diskutiert und weitergesponnen…
Der Cardillo (Stieglitz, Distelfink) ist ein Vogel, der in der neapolitanischen Kultur, in Musik, Literatur und Film sehr präsent ist. Im Gegensatz zu dem kleinen Cardillo im Käfig, wie er in vielen neapolitanischen Haushalten gehalten und den Kindern ob seines Gesangs zum Einschlafen and Bett gestellt wird, ist der Cardillo auf der Fassade der Vela Celeste groß und frei. Von der Piazza Ciro Esposito im Herzen Scampias und vom Mammut aus ist das über mehrere versetzte Balkone und Terrassen gemalte Wandbild ganz und passgenau.